Jahrbuch 2007 - Vorwort

Die Anforderungen und Belastungen auf allen Feldern der universitären Forschung und Lehre wachsen, die Zahl der Studierenden steigt, die der Professoren sinkt und die Auseinandersetzungen über sinkende Etats in etlichen Fachbereichen nehmen an Schärfe zu. Ein weitreichender Reformanspruch oder auch nur ein aus kurzatmigen Überlegungen erwachsender, zumeist unzulänglich aufeinander abgestimmter Veränderungsdruck erhöhen sich von Semester zu Semester. Gleichzeitig steigt die Zahl der Aushilfsmaßnahmen, die als „Reformen“ deklariert werden, ohne dass sie an der Gesamtsituation qualitativ etwas verändern. Einzig die Absenkung der Besoldung (C1-4 wurde zu W1-3) wurde schnell und mit verheerenden Folgen durchgesetzt.

Für diese Feststellungen finden sich im akademischen Alltag zahlreiche Belege. Die Tatbestände existieren übrigens nahezu unabhängig davon, ob Hochschulen für „exzellent“ befunden worden sind oder nicht, ob die überstürzt und ohne die erforderliche Verbesserung der personellen und sachlichen Ausstattungen eingeführten Bachelor- und Master-Studiengängen sich mühsam durchsetzen, schon wieder aufgegeben oder stark abgeändert werden müssen, ob Bibliotheken die dafür dringend notwendigen Dienstleistungen erbringen können oder in ihrer Funktionsfähigkeit bereits massiv eingeschränkt sind. Zumindest versuchen die Universitätsleitungen in Berlin rigoros tiefgreifende finanzielle Kürzungen in einem solchen Umfang durchzusetzen, dass sie mit der Fortsetzung dieser Sparaktionen die „Universitäten“ als Stätte wissenschaftlichen Lehrens und Lernens binnen kurzer Zeit zur Disposition stellen werden. Deshalb verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen für die Lehrenden und Studierenden in einem schwer zu verantwortenden Umfang. Wenn Professoren kaum noch zur wissenschaftlichen Arbeit kommen, sondern zunehmend als Verwaltungsbeamte tätig werden, ist das eine unsinnige Ressourcenverschwendung. 

  Darüber hinaus zeichnen sich bildungs- und hochschulpolitisch gewollte und von etlichen Präsidenten ebenfalls angestrebte oder zumindest geduldete Strukturveränderungen ab, die zu einer kaum noch kaschierten Neudefinition der Organisation, der Funktionen und auch der bildungs- bzw. gesellschaftspolitischen Bedeutungen von „Universität“, „Fachhochschule“ und „außeruniversitärer Forschungsanstalt“ führen sollen. „Die Zeit“ resümierte scharf: „Die deutsche Universität gibt es nicht mehr“, und wie sich die flächendeckenden Veränderungen und Reformen auswirken, lasse sich erst nach zwei Jahrzehnten bewerten. Die Zeitung fragte deshalb: „Stimmt überhaupt die Richtung?“ (Nrr. 4 und 7, 17. und Januar und 7. Februar 2008). Die Einführung eines zu doppeltem Lehrdeputat verpflichteten und somit von der Forschung nahezu ausgeschlossenen „Lehrer neuen Typs“ an den Hochschulen spricht ebenso gegen eine Hebung der Qualität wie die bevorzugte Ausweitung knapp befristeter Einstellungen, die Ankündigung eines Kultusministeriums, Universitäten das exklusive Promotionsrecht nehmen zu wollen, sowie die überstürzt angekündigte, dürftig begründete und weitgehend unklar gebliebene Nachricht aus dem Berliner Senat, eine Super-Universität gerade in dem Moment in der Hauptstadt errichten zu wollen, in dem man einer ihrer Universitäten, der Freien Universität, höchste Qualität testiert hatte. Außerdem dürfte wohl kein Rechungshof Verständnis dafür aufbringen, dass im Zuge der universitären Dezentralisationsmaßnahmen das Wachstum des Verwaltungsapparats in den Fachbereichen nicht mit einer entsprechenden Verschlankung der höheren Leitungsebenen einhergeht. Mitunter zeigt sich selbst dort, wie an den anschwellenden Verzeichnissen und im Internet unschwer abzulesen ist, sogar ein wundersames Wachstum – wohl nicht zuletzt dank der großzügig einbehaltenen Anteile an den Exzellenz-Zuwendungen, den sogenannten Overheads. 

  Nachdem die Politiker mehr als zwei Jahrzehnte lang der Bildung und Ausbildung eine viel zu geringe oder so gut wie gar keine Aufmerksamkeit geschenkt oder ein Ministerpräsident sogar die Lehrerschaft diffamiert hatte, wird das Thema nach dem sogenannten Pisa-Schock nunmehr wenigstens nicht nur rhetorisch stärker behandelt. Internationale seriöse Statistiken enthüllen aber, wie weit abgeschlagen Deutschland platziert und wie wenig es ihm gelungen ist, die benötigten umfangreichen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, mit denen allein die gravierenden Versäumnisse der Vergangenheit beseitigt werden könnten. Im europäischen Vergleich investiert unser Staat auf dem Bildungssektor finanziell und personell weiterhin in einem eher bescheidenen Umfang. Einem Interview der seit 2005 an der Misere mitverantwortlichen Bundesministern für Bildung und Forschung, Frau Annette Schavan, lässt sich wenig Erfreuliches entnehmen: Sie plädiere für einen Mentalitätswandel in Deutschland, führte sie in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 26./27. Januar (Nr.22) aus. Es müsse zu einem Klimawechsel an den Hochschulen kommen, damit die Lehrenden nicht fortgesetzt entmutigt, sondern ermutigt würden: „Das [Zahlen-]Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden ist nicht in Ordnung“! Der Bund werde sich zwar weiterhin an der Finanzierung beteiligen, „die Grundausstattung der Unis [sei] allerdings Sache der Länder.“ Mit jener minimalen Ausstattung ist es in Berlin inzwischen so schlecht bestellt, dass die Grundausstattung zunehmend durch Drittmittel beziehungsweise Leistungsmittel gedeckt werden muss – doch selbst sie stehen in einigen Instituten längst zur Disposition. Die Betreuungsrelation Dozent : Studierende hat sich drastisch verschlechtert und ist ein halbes Jahrhundert nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland von vormals 1 : 19 am Ende der Sechziger im Jahr 2008 auf einen erschreckenden Tiefstand abgesunken (1 : 58). Vor diesem Hintergrund verlieren die Ankündigungen der Politiker, sie billigten der Bildung und Ausbildung hohe Priorität zu, erheblich an Glaubwürdigkeit. „Die Welt wartet nicht auf deutsche Landespolitiker, die ihren Hochschulen nicht die Freiheit zugestehen, ihre Personalstruktur eigenständig zu entwickeln“, mahnt die Humboldt- Stiftung in ihrem jüngsten „Kosmos“-Heft (Jahrgang 2007), und fährt fort: „Die Lehrdeputate sind zu hoch beziehungsweise müssten flexibler aufgeteilt werden können.“ Am Schluss des Wintersemesters 2007/08 ist ob dieser Situation und der ungünstigen Aussichten nicht nur in Berlin die Verunsicherung gewaltig. In den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften wächst die Zahl der Enttäuschten, Verbitterten und Resignierenden deutlich, weil Qualität, internationaler Wettbewerb und Effizienz dort kaum noch zu leisten sind. 

  Ungleich weniger prekär verlief das vergangene Jahr für unsere Gesellschaft. Herr Priv.-Doz. Dr. Uwe Puschner hat den „Harnack-Kreis“ weiterhin erfolgreich geleitet. Etliche der dort vorgetragenen Ausführungen finden sich hier im „Jahrbuch“ wieder. Die Reihe „Wissenschaft der Zukunft – Zukunft der Wissenschaft“ hat sich im achten Jahr ihres Bestehens mit dem Thema „Von Lichtblitzen und Geistesblitzen“ befasst. Wir begrüßen mit diesem „Jahrbuch“ sieben neue Kolleginnen und Kollegen. Am 30.01. 2008 gehörten der Gesellschaft 369 Personen an; neben den 241 ordentlichen zählt sie 47 fördernde und 81 korrespondierende Mitglieder. In diesem Jahr haben wir den Tod unseres hochschulpolitisch besonders engagierten Vorstandsmitglieds, Herrn Prof. (a.D.) Dr. Jürgen H. Springer, Institut für Technische Chemie der Technischen Universität Berlin, zu beklagen. Den ehrenden Nachruf verfasste Herr Prof. Dr. Jörn Müller. 

  In das Amt des Vorsitzenden wurde am 15. Februar 2007 Herr Prof. Dr. Hans-Peter Berlien gewählt. Die weitere Zusammensetzung des Vorstands und auch des Beirats finden Sie wieder im Anschluss an den Text unserer Satzung. Die Geschäftsstelle führt weiterhin Frau Dr. Gisela Wolf; unseren „Netzauftritt“ betreut mit gleich bleibender Aufmerksamkeit Herr Dr. Mathias Hellriegel. Im Verlag liegt die Bearbeitung unserer Publikation ebenfalls noch in den Händen von Frau Claudia Delfs, so dass die Kooperation wiederum sehr angenehm ablief. Am Lehrstuhl fand ich in einer Doktorandin, Frau Swea Starke, und dem studentischen Mitarbeiter, Herrn Mark Erbel, die wichtige Unterstützung in der redaktionellen Arbeit und auch bei allen organisatorischen Fragen des „Ehrhard Höpfner Studienpreises“. Ihnen sowie den Autorinnen und Autoren danke ich herzlich, denn wie sollte sich sonst ein derartiges Werk Jahr für Jahr ehrenamtlich vorlegen lassen.

Berlin, Ostern 2008
Bernd Sösemann